Olivier Messiaen

Über Olivier Messiaen existieren etliche, teils sehr gute Texte im Internet. Einige interessante Verweise finden Sie bei den Links. Um das Thema Olivier Messiaen noch einmal auf eine andere Weise als sonst meist üblich anzugehen, soll in diesem Text schwerpunktmäßig das Verhältnis von Glaube, Musik und Spiritualität bei Olivier Messiaen etwas näher beleuchtet werden.

Olivier Messiaen 1987 mit Sigune von Osten und Yvonne Loriod (v.r.n.l.)

Wenn heute ein Komponist geistliche Musik schreibt, insbesondere, wenn diese noch unter der Bezeichnung "Kirchenmusik" läuft, wird er oft etwas misstrauisch, gelegentlich sogar mitleidig beäugt und sehr schnell als konservativ oder zumindest als etwas merkwürdig eingestuft.

Natürlich war das nicht immer so. Die europäische Musikkultur kannte über viele Jahrhunderte hinweg kaum Musik, die nicht etwas mit Religiosität zu tun hatte. Aus den berühmten gregorianischen Gesängen entstand im Mittelalter die Mehrstimmigkeit, und bahnbrechende Werke wie Monteverdis Marienvesper oder Bachs Matthäuspassion sind aus der Geschichte unserer Musikkultur kaum wegzudenken.

Ab dem Zeitalter der Aufklärung wurde dann zunehmend mehr weltliche Musik komponiert, was aber nichts daran änderte, dass es mindestens bis zum Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder berühmte Komponisten gab, die Kirchenmusik schrieben.

Zu einem erneuten und deutlich stärkeren Bruch der Künste mit der Kirche als zur Zeit der Aufklärung kam es mit dem Surrealismus (ab ca. 1920). Das folgende Zitat von Benjamin Péret (1948) verdeutlicht die explizit kirchen- und religionsfeindliche Einstellung der Surrealisten:

Die christliche Religion, die entwickeltste und scheinheiligste aller Religionen, ist das große geistige und materielle Hindernis für die Befreiung des westlichen Menschen, denn sie ist die unentbehrliche Gehilfin aller Unterdrückungssysteme. Ihre Vernichtung ist eine Frage von Leben und Tod.

Trotzdem bezeichnete sich die Bewegung des Surrealismus als eine spirituelle, da die Transzendenz künstlerischen Schaffens in Form des Unterbewussten in ihrem Mittelpunkt steht. So sahen die Surrealisten sich als Vertreter einer viel reineren Spiritualität als der der Anhänger der Kirche.

Seit der starken Isolation der Kirchenmusik von der restlichen Musikkultur während der Zeit des Nationalsozialismus und den folgenden kirchenfernen künstlerischen Bewegungen sind die Mauern zwischen Kirchenmusik und der Neuen Musik im Allgemeinen nie wieder ganz eingerissen.

Umso erstaunlicher ist eigentlich die Bewunderung, die dem französischen Komponisten Olivier Messiaen entgegen gebracht wird. Ohne Zweifel zählt Olivier Messiaen zu den wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, und sogar die kirchenkritischsten Vertreter der Neuen Musik würden das kaum in Frage stellen, obwohl seine Musik unzertrennbar mit dem katholischen Glauben und damit mit der Kirche verbunden ist und ihren Ausgangspunkt in diesem Glauben hat.

Das funktioniert bei Messiaen, weil bei ihm Kunst und Glaube des gleichen Wesens sind. Kunst ist nicht etwas Alltagsentrücktes, das nur einer höheren Schicht vorbehalten bleibt, genausowenig wie etwas, das nur das Bedürfnis nach oberflächlicher Unterhaltung oder Euphorie befriedigt. Im Gegensatz zu vielen anderen "Kirchenkomponisten" funktionalisiert Messiaen die Musik nicht, um Glaubensinhalte auszudrücken. Er sieht die Musik nicht als ein "Werkzeug" zum Ausdruck seines Glaubens, sondern die Musik ist der Ausdruck seines Glaubens, weil sie das Wesen des Glaubens widerspiegelt.

Der Musik von Olivier Messiaen ist alles, bei dem eine reine Praxisfunktion im Vordergrund steht, fremd - es geht immer um ein ganzheitliches Erleben mit Herz, Seele und Verstand. Dieses unmittelbare Erleben steht im Zentrum seines Schaffens. Messiaen nähert sich biblischen Texten und Themen nicht durch theologisch-wissenschaftliche Analyse, sondern hat stets Bilder, Visionen (das Wort "Vision(en)" kommt auch in mehreren Titeln seiner Werke vor) vor Augen, die er musikalisch umsetzt. Da er als Synästhet während dem Musikhören auch Farben wahrnimmt, hat dieser visionäre Charakter für ihn noch eine besondere Bedeutung.

Genauso wie die Musik für Olivier Messiaen keine Musik "über" den Glauben ist, ist die Ausstellung von Johann P. Reuter keine Ausstellung "über" die Musik von Olivier Messiaen. Musik und Kunst übernehmen keine Funktion von - intellektuellen oder anderes gearteten - "Kommentatoren", sondern sind eine direkter, persönlicher Ausdruck des Visionären.

Christoph Bornheimer, November 2008